Ich habe meiner Bank geschrieben. Da ich nicht viel mache – Gehalt bekommen, Überweisungen tätigen, im Urlaub die Kreditkarte nutzen – bin ich Freund von Direkt-Banken. Man sollte meinen, dass Direkt-Banken noch die modernste Form des klassischen Geldgeschäftes sind, doch ich frage mich: Wie lange noch?

Ich bin seit Jahren zufriedener Bestandskunde. Doch immer wieder sieht man Werbung, in der Neukunden einen Bonus erhalten. Ich habe meiner Bank also geschrieben, ob ich nicht als treuer Bestandskunde den gleichen Bonus bekommen könne. Außerdem denke ich gerade (tatsächlich) darüber nach zu wechseln.

Die Antwort lautet: Nein.

Natürlich wusste ich vorher, wie die Antwort lauten wird. Die SLA-Maschinerie hat brav eine Email zurückgesendet, dass ich innerhalb von Zeitraum x eine Antwort erhalten werde. Besagte Antwort kam dann auch: „Warum möchten Sie wechseln, Frau Krüger?“ (ChurnPrevention-Status: gestartet, Abfrage von Gründen. Persönliche Ansprache eingefügt: erledigt.). Bank x „…bietet Ihnen den umfassenden Service einer Vollbank zu den attraktiven Konditionen einer Direktbank. Auch in Form von Aktionen bieten wir Interessenten und Kunden immer wieder interessante Produkte an. Zum Beispiel aktuell die Sonderprämie, die sich gezielt an Neukunden und an Bestandskunden ohne Girokonto richtet.“ (Automatische Textblock-Vervollständigung: abgeschlossen).

Klassische Marketingansätze – falsch verstanden

Tja, da waren sie wieder, meine Verständnisprobleme. Ich hatte der besagten Bank geschrieben, gerade weil mir sehr bewusst ist, dass Neukunden einen Bonus erhalten, Bestandskunden aber nicht. Grundsatz Klassisches Marketing: Bestandskunden binden ist einfacher/günstiger als Neukunden werben.

In dem Absatz, der auf diese bereits einstudierten Textblöcke folgte, wurde es noch besser: Mir wurde ein aktuelles Angebot unterbreitet, dass ich doch meine Wertpapiere übertragen solle und dafür würde ich eine kleine Geldprämie erhalten.

 

Hallo, gibt es da draußen noch Bestandskunden-KPIs?

Fassen wir nochmal zusammen: Ich möchte evtl. wechseln und war zufriedener Bestandskunde, der nur schauen wollte, ob Kundenloyalität geschätzt wird (und mit KPIs belegt wird). Wie wir nun wissen: Nein, es gibt anscheinend nur einen Neukunden-KPI. Stattdessen wird mir ein anderes Produkt angeboten. Ist ein Bestandskunde weniger wert als ein Neukunde?

Ich sehe hier leider den Fehler, der allzu oft gemacht wird. Fragt man Firmen, ob ihre Prozesse auf absolute Kundenzentralisierung ausgerichtet sind, werden sie bestimmt und mit einem bestimmten „Ja“ antworten. Aus ihrer Sicht heraus haben sie alles richtig gemacht: Zeitnahe Kundenkommunikation, die auf die Belange des Kunden eingeht, SLAs erfüllt, Churn verhindert, Rückruf vorgeschlagen, Neukunden-KPI gehalten und nicht verfälscht, Cross-Selling angeboten.

Komische Kunden

Warum habe ich nun trotzdem das verstärkte Bedürfnis zu kündigen? Als Marketingchef würde man dazu sicher sagen: „Komische Kunden halt, man kann halt nicht alles abdecken.“

Ich behaupte aber: Doch, das geht! Der entscheidende Fehler in der Kommunikation liegt aus meiner Sicht darin, dass die Kommunikation eben nicht auf den Kunden ausgerichtet ist, es findet nur eine Schein-Zentralisierung statt. Pro forma – ja. Aber schauen wir uns das im Detail an, wird der übliche Fehler sichtbar – das Unternehmen möchte ein Produkt anbieten (und ggf. bewahren) und denkt nur aus dieser Richtung (Produktbrille). Der Kunde (Kundenbrille) möchte als (Bestands-)Kunde wahrgenommen und bestätigt werden. Den Kunden an sich interessiert es nicht, wie man das macht, ob man dazu Prozesse ändern muss oder welche KPIs erfüllt werden. Den Kunden interessiert nur der eigene Touchpoint, ohne dass der Kunde diese Touchpoints auch nur ansatzweise selber kennt oder benennen kann. Aber wie man das umsetzen kann, ist Thema meines nächsten Blogs.

Beware of the new normal

Damit wird der Kunde immer mehr zum Kunden von morgen (ich nenne sie „new normal“), auf den die Unternehmen noch weniger vorbereitet sind. ‚Wer?’ oder eher gesagt ‚Wie?’ sind die ‚new normals’? Der gemeine Kunde im Sinne von der allgemeine Kunde ist dies eben nicht mehr – er ist ein Individuum. Und als solcher will er wahrgenommen und behandelt werden. Ihn interessiert nicht das ‚wie’ der Dinge (wie funktioniert etwas, wie wird es umgesetzt etc.), er möchte nur das ‚was’: ein Produkt nach seinen Vorstellungen.

Bisher habe ich es Produkt genannt – aber wenn ich recht drüber nachdenken, dürfte auch diese Bezeichnung nicht mehr angebracht sein. Laut lateinischer Herkunft bedeutet productum das Hervorgebrachte. Wir müssen aber auch hier eine neue Sicht einnehmen – nicht das, was Unternehmen hervorbringen, sondern was der Kunde als „Gut“ (im doppelten Sinne) ansieht. Er möchte also sein ‚Gut’, welches ganz nach seinen individuellen Bedürfnissen ausgerichtet ist und das zu seinen Bedingungen (Zeit & Ort).

Diese Erkenntnis ist nicht so neu, zugegeben. Aber zusammen mit den aktuellen Möglichkeiten der Digitalisierung, einem anderen Konsumentenverständnis (wenn wir überhaupt noch von Konsument reden können, da es über einen reinen Konsum weit hinausgeht), und einer Vielfalt an Möglichkeiten, die sich viele noch nicht einmal annähernd ausmalen können und die keine Grenzen mehr kennen, entsteht so eine neue Kundengeneration, die Evolution des Herren Otto Normal: Mr. New Normal.

Wenn die Unternehmen also heute schon nicht richtig auf die Kunden reagieren, wie sieht das dann morgen aus, wenn der Kunde sich noch weitaus mehr verändert?

 

Was ist mit den Bergen & Propheten?

Genau, kommen wir zurück zur Überschrift. Aktuell sehen sich die Banken meiner Meinung nach als Berge: groß, stark, massiv, gutes Fundament, unverrückbar. In der Vergangenheit kamen die Propheten (man könnte sie auch Kunden nennen) brav zu einem Berg, wie es sich eben gehört. Die Propheten sind aufgeklärter und können frei reisen, von einem Berg zum anderen, ganz wie es beliebt. Doch der agile Prophet von heute muss nicht einmal mehr reisen, im Zeitalter des Internets ist dies überflüssig geworden. So muss halt der Berg zum Propheten kommen.

Der Prophet hat nun die Auswahl und kann sich seinen persönlichen Lieblings-Berg heraussuchen. Und als ob das nicht reichen würde, gibt es zusätzlich unter den Propheten einige, die auf Grund der Erkenntnis, dass der Berg nicht zum Propheten kommt eine neue Lehre propagieren: Du brauchst keinen Berg. Diese Propheten mit Entdeckergeist (oder auch Entrepreneure, Start-ups, s. dazu auch Entrepreneurial Management; in diesem Zusammenhang auch unter dem Begriff Fin-Techs) setzen sich über die Gesetze der Physik hinweg und könnten so ganze Bergmassive zum Einsturz bringen.

Bei dieser kleinen Geschichte denke ich daran, dass das Bild des Propheten gar nicht so weit hergeholt ist. Propheten haben eine Überzeugung, die sie nicht nur vertreten, sondern aktiv darstellen und nach Belieben gestalten können. Sie sind in der Lage Menschen zu leiten und zu bewegen. Dabei sind sie agiler als manch andere. Berge rufen außerdem nicht gerade Assoziationen für Geschwindigkeit hervor.

Ich hätte von den „Neuen Bergen“ (den Direktbanken) erwartet, dass zumindest diese, da sie noch moderner aufgestellt sind, auf den Kunden wirklich entsprechend eingehen können. Wie ich erfahren musste, ist dem aber nicht so. Ich glaube, dass die Kunden sich noch weit über die Vorstellungskraft mancher Marketeer hinweg ändern werden.

Doch was hätte ich als Antwort heutzutage erwartet? Ohne noch einen ganzen Text dazu zu schreiben, aber meine Vorstellung würde etwa so klingen:

Liebe Frau Krüger,

danke für Ihren Hinweis. Diese Aktion ist zwar für Neukunden vorgesehen, aber da Sie seit x Jahren eine treue Bestandskundin sind, senden wir Ihnen einen 20€ Gutschein von xyz als Treue-Geschenk zu Weihnachten zu.

Sie denken über einen Wechsel nach? Wenn Sie dies wünschen, rufen wir Sie hierzu gern zurück und unterbreiten Ihnen ein neues Angebot.

In diesem Sinne und vorab fröhliche Weihnachten,

Ihre Uschi Mustermann

 

Ganze 5 Zeilen statt ca. 60 Zeilen (ich habe nachgezählt), die beim Empfänger nicht wirklich angekommen sind. Der Aufwand für eine solche Email wäre erheblich geringer. Der Aufwand einen Kunden zu binden, der von sich aus vor einem Churn (Abwanderung/Kündigung) warnt, wäre ebenfalls geringer als einen neuen Kunden erst zu gewinnen. Mit den heutigen Möglichkeiten ist dies möglich, aber warum wird es dann nicht genutzt? Ich werde auf die neuen Propheten warten, die selbst noch wissen, wie es ist Kunde zu sein, die noch die Kundenbrille auf haben und somit neue Möglichkeiten schaffen, die es ganz einfach ‚einfach’ machen. Das ‚wie’ (wie eine Bank das umsetzt) interessiert in der Zukunft den Kunden nicht mehr.

Die Schnellen werden die Langsamen überholen. Aber ein Berg lässt sich doch nicht so schnell verrücken! Oder doch? Verrückt oder?

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